Daniel Everett „Don’t Sleep, There are Snakes
Daniel Everett „Don’t Sleep, There are Snakes

Daniel Everett „Don’t Sleep, There are Snakes

Daniel Everett „Don’t Sleep, There are Snakes – Life and Language in the Amazonian Jungle“

1977 ging der Autor mit Frau und Kindern in den brasilianischen Urwald, um dem Stamm der Pirahã, der fernab der Errungenschaften der modernen Zivilisation an einem Nebenfluss des Amazonas lebt, zum christlichen Glauben zu bekehren und um die Bibel in ihre Sprache zu übersetzen. Insgesamt verbringt er sieben Jahre bei den Pirahã.  

Ursprünglich als Missionar angereist, wird Everett aber schnell in den Bann ihrer Kultur und Sprache gezogen. Er ist so fasziniert von ihrer Sprache, ihrer Sicht auf die Welt und ihrer Lebensweise, dass man sagen kann, dass letztendlich er von ihnen missioniert wurde und nicht umgekehrt. Ihre Lebensweise stellt sein westliches Denken und seine religiösen Überzeugungen infrage, was schließlich dazu führt, dass er seinen Glauben verliert. Die Zeit bei den Pirahã hat sein Leben gründlich verändert. 

Everett lernt schnell ihre Sprache und stellt fest, dass sie vollkommen anders ist als er erwartet hatte. Und nicht nur das: Die Pirahã haben ein radikal gegenwärtiges Weltbild. Sie haben keine schriftliche Sprache, es gibt keine Mythen oder Erinnerungen an Vorfahren und keine Begriffe für Zahlen, Farben oder Zeit. Sie kennen keine Zahlen und sie brauchen auch keine, d.h. sie können auch nicht rechnen. Persönlicher Besitz bedeutet ihnen nichts. Sie kennen keine Zeiten wie das Futur, denn sie sprechen nicht über die Zukunft. Stattdessen konzentrieren sie sich ausschließlich auf das Hier und Jetzt und sprechen grundsätzlich nur über Dinge, die sie selbst erlebt haben. 

In diesem internationalen Bestseller schildert Everett seine Zeit bei den Pirahã und widmet sich seiner eigentlichen Profession: der menschlichen Sprache. Everett untersucht, wie Sprache entsteht und warum es solch eine unglaubliche sprachliche Vielfalt in der Welt gibt. Er beschreibt, wie sich langsam sein Verständnis von Sprache verändert, davon wie Sprache in unserem Kopf und unserem Leben funktioniert und dass das in krassem Gegensatz zu Noam Chomskys allgemein anerkannten Theorie der angeborenen Universalgrammatik steht. Gestützt auf seine jahrelange Forschung kommt Everett zu der revolutionären Erkenntnis: Eine solche Universalgrammatik, die angeboren und im menschlichen Gehirn verankert ist, gibt es nicht. Vielmehr entstehen Sprachen immer in einer speziellen Kultur, von der sie geformt und auf deren Bedürfnisse sie ausgerichtet ist. Deswegen folgen auch nicht alle Sprachen gemeinsamen grammatischen Prinzipien – eine Erkenntnis, mit der sich Everett gegen die herrschende Meinung der Linguistik stellt. Sprache, so ist Everett überzeugt, ist ein Werkzeug, das, ähnlich wie Pfeil und Bogen, vom Menschen erfunden wurde. Für ihn die größte Erfindung der Menschheit. 

Everetts Buch, das sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Übersetzung von Sebastian Vogel erhältlich ist, ist eine gelungene Mischung aus Abenteuer, woraufhin auch das Buchcover deutet, und der Schilderung spannender anthropologischer und linguistischer Erkenntnisse. Es gewährt seltene Einblicke in eine der isoliertesten Kulturen der Welt und regt dazu an, die eigene Denkweise kritisch zu hinterfragen. Während meines Studiums hätte ich z.B. nicht gedacht, dass jemand Chomskys Theorie der Universalgrammatik infrage stellen könnte.

Das Buch ist geeignet für alle Leser*innen, die sich für anthropologische und sprachliche Themen und alternative Lebensentwürfe interessieren, aber auch für jeden, der eine bewegende und bereichernde Lektüre möchte. Es ist ein bewegendes und inspirierendes Buch, das den Leser tief in eine fremde Welt eintauchen lässt und zeigt, wie radikal anders das Leben sein kann. Es regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern hinterlässt einen bleibenden Eindruck über die Vielfalt menschlicher Lebensweisen. Dieses Buch ist ideal für alle, die sich für Linguistik, Ethnologie und interkulturelle Begegnungen interessieren. Everett verbindet wissenschaftliche Tiefe mit einer packenden Erzählweise, die seine persönliche Reise und die einzigartige Kultur der Pirahã greifbar macht. Sehr lesenswert! 

– Everett, Daniel (2009), Don’t Sleep, There are Snakes: Life and Language in the Amazonian Jungle, Profile Books

– Everett, Daniel (2012), Das glücklichste Volk: Sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am      Amazonas, Pantheon Verlag