Die Kunst des literarischen Übersetzens
Die Kunst des literarischen Übersetzens

Die Kunst des literarischen Übersetzens

Denn was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr.“ (Johann Wolfgang von Goethe, 1749–1832)

Der mehrsprachige Dichter war sehr vielseitig und u.a. auch als literarischer Übersetzer tätig. Er übertrug Werke aus dem Französischen (Voltaire, Corneille, Jean Racine, Diderot, de Staël), dem Englischen (Shakespeare, Macpherson, Lord Byron), dem Italienischen (Benvenuto Cellini, Manzoni), dem Spanischen (Calderón) und dem Altgriechischen (Pina, Homer, Sophokles, Euripides). Aus der Bibel übersetzte er das Hohe Lied Salomons neu.

Literarisches Übersetzen ist eine Kunst, die viel mehr verlangt als das bloße Übertragen von Wörtern von einer Sprache in eine andere. Es ist ein Abenteuer, eine Herausforderung und eine Reise in die Gedankenwelt eines anderen Menschen. Hier sind einige der Freuden, aber auch Schwierigkeiten, die den Alltag eines literarischen Übersetzers ausmachen.

1. Mehr als nur Worte: Die Bedeutung hinter dem Text

Viele Menschen glauben, dass Übersetzen bedeutet, einen Text eins zu eins in eine andere Sprache zu übertragen. Doch das ist ein leider weit verbreitetes Missverständnis. Übersetzen bedeutet viel mehr, als einfach Wörter zwischen zwei Sprachen zu übertragen. Das gilt besonders für das literarische Übersetzen, also das Übersetzen von Büchern.

Die wahre Kunst besteht darin, die Essenz des Originaltextes einzufangen. Wörter haben unterschiedliche Konnotationen, Nuancen und kulturelle Bezüge, und es liegt am Übersetzer, diese in der Zielsprache wiederzugeben, sodass der Text lebendig bleibt und dieselbe Wirkung entfaltet wie das Original. Das ist eine Arbeit, die nicht nur überragende Sprachkenntnisse erfordert, sondern auch ein feines Sprachgefühl und Fingerspitzengefühl.

2. Die Intention des Autors erspüren

Ein gelungener Text vermittelt nicht nur Informationen, sondern auch Emotionen, Atmosphären und Intentionen. Als Übersetzer taucht man tief in die Gedankenwelt des Autors ein. Es geht darum, die Inspiration und Absicht des Autors zu erspüren und diese mit dem eigenen Gefühl aufzunehmen. Ein gutes Gespür für Zwischentöne und die Fähigkeit, sich in verschiedene Schreibstile hineinzuversetzen, sind dabei unerlässlich. Es ist, als würde man die Geschichte selbst ein zweites Mal erleben, um sie dann für andere neu zu erzählen.

3. Kulturelle Brücken schlagen

Eine Übersetzung ist auch eine Übertragung von kulturellen Unterschieden, was ein weiteres spannendes, aber auch herausforderndes Element des literarischen Übersetzens ist. Was in einem Kulturkreis verständlich und vertraut ist, kann in einem anderen völlig fremd wirken. Der Übersetzer muss daher auch als kultureller Mittler fungieren. Diese Arbeit erfordert eine hohe Sensibilität und das Verständnis für die Kultur der Ausgangs- und Zielsprache. Es geht darum, die ursprüngliche Intention und Atmosphäre in einen neuen kulturellen Kontext zu übertragen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Ideen und Botschaften des Autors nicht nur in der Sprache, sondern auch im kulturellen Kontext der Zielsprache ankommen. Das kann bedeuten, dass Anspielungen, Redewendungen oder sogar ganze Passagen neu formuliert werden müssen, damit die Bedeutung erhalten bleibt.

4. Recherche und Wissenserweiterung

Übersetzen bedeutet oft auch, zum Detektiv zu werden. Denn wird in einem französischen Roman z.B. ein Gedicht zitiert, kann dies nicht einfach in die Zielsprache übersetzt werden. Man muss klären, ob der Dichter das Gedicht schon in der Zielsprache veröffentlicht und vielleicht einen Gedichtband herausgegeben hat. Dann muss diese offizielle Version in die Übersetzung übernommen werden. Handelt es sich beispielsweise um ein englisches Gedicht in einem französischen Roman, muss u.U. die englische Version in der deutschen Übersetzung bleiben. Denn das könnte die Intention des Autors sein.

Bei Romanen und Thrillern gilt es, sich mit dem Sachgebiet zu beschäftigen und die Recherchen des Autors nachzuvollziehen. Darin besteht sogar oftmals die Hauptarbeit. Das Verstehen von Fachbegriffen, historischen Kontexten oder spezifischen Details ist oftmals entscheidend, um den Text in seiner Gänze zu erfassen und korrekt zu übertragen.

Das macht den Beruf so spannend, denn man lernt ständig Neues und entdeckt immer wieder faszinierende Details aus den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens. Man kann sogar sagen, dass Übersetzen auch weiterbildet.

5. Warum maschinelles Übersetzen hier nicht ausreicht

In der heutigen Zeit gibt es zahlreiche Tools und Programme, die Texte maschinell übersetzen können. Doch eine Maschine kann keine Emotionen spüren, keine kulturellen Nuancen erfassen und keine Intentionen interpretieren. Maschinelles Übersetzen mag schnelle und oft auch brauchbare Ergebnisse liefern, aber der Text bleibt leblos und unvollständig. Die literarische Übersetzung soll den tieferen Sinn des Originaltexts vermitteln, selbst wenn dies bedeutet, von der wörtlichen oder referenziellen Treue abzuweichen. Eine gute Übersetzung eines Buchs erfordert Feingefühl, Kreativität und eine tiefe Verbundenheit zur Sprache – Qualitäten, die eine Maschine nicht besitzt.

6. Die Freude, ein Buch in einer anderen Sprache zu erschaffen

Am Ende gibt es nichts Schöneres, als den Prozess abzuschließen und zu wissen, dass man ein Werk neu erschaffen hat – ein Buch, das nun auch Menschen in einer anderen Sprache erreicht und berührt. Diese Freude und der Gedanke, einem Autor eine Stimme in einer anderen Sprache zu geben, ist das, was den Beruf so erfüllend macht.

Masterstudiengang Literaturübersetzen

Wenn das literarische Übersetzen auch viel Feingefühl und über die reinen Fremdsprachenkenntnisse hinausgehende Fertigkeiten erfordert, so gibt es doch gewisse Grundkenntnisse, die man in einem Studium erwerben kann, z.B. an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf. In einem interdisziplinären Masterstudiengang über vier Semester werden sowohl die theoretische als auch die praktische Seite des Übersetzens beleuchtet und Kenntnisse in der Literatur- und Kulturwissenschaft der jeweiligen Ausgangssprache/n vertieft sowie Fähigkeiten im Bereich der Literaturübersetzung und Kompetenz im Umgang mit interkulturellen Prozessen vermittelt. Der Studiengang ist eine gute Vorbereitung auf eine freiberufliche Tätigkeit als Literaturübersetzer oder ein Berufsleben im Verlagswesen, bei Institutionen der Kulturvermittlung und Weiterbildung oder in europaweit tätigen Unternehmen und Verbänden.

In den letzten Jahren gab es in diesem Masterstudiengang eine stabile, aber vergleichsweise kleine Anzahl von Studierenden, z.B. waren im Wintersemester 2022/2023 etwa 25 Studierende eingeschrieben, während es im Wintersemester 2023/2024 etwa 22 Studierende waren. Ein möglicher Grund für die geringe Zahl der Studierenden könnte sein, dass das Interesse in Richtung anderer sprachlicher oder interdisziplinärer Programme geht, die eine breitere Berufsperspektive bieten als spezialisierte Übersetzungsstudiengänge.

Umberto Eco (1932-2016) war Professor für Semiotik an der Universität Bologna und Schriftsteller. Durch seine Romane, allen voran „Der Name der Rose“ wurde er weltberühmt. Eco war jedoch nicht nur als Autor, sondern auch als Übersetzungstheoretiker hoch angesehen. Seine Werke inspirieren bis heute zahlreiche Übersetzer, da sie eine tiefe Wertschätzung für die Kunst und das Handwerk des Übersetzens zum Ausdruck bringen. Er betrachtete das Übersetzen als eine semiotische Aufgabe, d.h. dass der Übersetzer die Zeichen und Symbole eines Textes so umwandeln muss, dass ihre Bedeutung im kulturellen Kontext der Zielgruppe verständlich bleibt. Er nutzte Beispiele aus seinen eigenen Romanen und anderen Werken, um zu zeigen, wie schwierig, aber auch kreativ dieser Prozess sein kann. Das zeigte er vor allem in seinem Buch „Quasi dasselbe mit anderen Worten – Über das Übersetzen“ (dtv, 2010).

Aus Ärger darüber, dass viele Verlage die literarische Leistung bei einer Übersetzung nicht würdigten und den Namen des Übersetzers nicht erwähnten, hat der Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen (VdÜ) vor vielen Jahren die „Übersetzerdistel“ ins Leben gerufen, d.h. es gab eine Postkarte mit einer stacheligen Distel und dem höflich formulierten Text: „Wie schade, dass Sie es versäumt haben, den Namen der Übersetzerin/des Übersetzers zu nennen! Wie schade, dass Sie deren/dessen (nach)schöpferische literarische Leistung mit keinem Wort erwähnen! Weil eine solche Unterlassung mehr ist als bloße Unhöflichkeit, soll Sie unsere Übersetzerdistel mit stacheligen Grüßen dazu einladen, Ihrem Publikum bei nächster Gelegenheit mit besserer Expertise zu dienen – und den Übersetzenden mit mehr kollegialer Solidarität.“

Wer ein Buch ohne Erwähnung des Übersetzers/der Übersetzerin fand, konnte diese Übersetzerdistel als Postkarte an den betreffenden Verlag schicken. Die Situation hat sich Gottseidank gebessert.